Die Gesundheitserreger
Mikroben: Sie sorgen auf und im Körper für unsere
Gesundheit. Und sollen sogar gegen Krebs helfen.
Von
Jörg Blech
Die
kleinsten Lebewesen auf der Erde zählen zu den gefährlichsten. Billionstelgramm
leichte Bakterien können einen 100-Kilo-Menschen ohne Weiteres dahinraffen.
Doch nur die wenigsten Mikroben sind schädlich. Im Gegenteil: Auf und im Körper
eines jeden Menschen leben Myriaden putzmunterer Winzlinge, die wahre
Gesundheitserreger sind.
Die unsichtbaren Lebenspartner versorgen uns mit Vitaminen und verdauen unsere
Nahrung. Sie unterstützen die gesunde Entwicklung von Organen, trainieren das
Immunsystem und versperren gefährlichen Keimen den Platz. Einige besonders
nützliche Mikroben werden bereits als Medikamente eingesetzt.
Nun
entdeckten Forscher einen weiteren Effekt: Infektionen mit Bakterien und Viren
schützen offenbar sogar vor Krebs. So lautet das verblüffende Fazit einer
Studie, die eine Gruppe um Klaus Kölmel von der Göttinger Universitätshautklinik
kürzlich veröffentlicht hat. Die Ärzte wollten wissen, ob Krebspatienten in der
Vergangenheit häufiger an Infektionen erkrankt waren als gesunde
Vergleichspersonen. Das Gegenteil war der Fall. Zu dem überraschenden Ergebnis
gelangten die Mediziner durch Befragung von 603 Menschen, die unter dem
schwarzen Hautkrebs litten. Die Geschwulst wuchert meist auf der Haut, aber
auch auf dem Auge und inneren Organen und führt im fortgeschrittenen Stadium
nach wenigen Monaten zum Tod.
Als
Kontrolle interviewten die Forscher 627 gesunde Menschen, die punkto
Risikofaktoren, etwa Sonnenexposition, vergleichbar waren. Die Probanden der
Kontrollgruppe hatten in ihrem Leben mehr bakterielle und virale Infektionen
durchgemacht als die Krebs-Patienten. Überstandene Mikrobenattacken schützen
also offenkundig vor Hautkrebs.
Die
heilsame Wirkung hing direkt mit der Dosis der Keime zusammen: Je mehr
Infektionen jemand durchmacht, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, an
Hautkrebs zu erkranken. «Die Auseinandersetzung mit Keimen trainiert das
Immunsystem, und eine geübte Abwehr erkennt eher Krebszellen», sagt Klaus
Kölmel. Der Schutz durch Mikrobenkontakt wirkt anscheinend auch bei anderen
Tumorarten. Arbeiter in Viehställen atmen an ihrem Arbeitsplatz keimgeschwängerte
Luft. Italienische Epidemiologen haben vor kurzem beobachtet: Je länger die
Arbeiter der mikrobenhaltigen Luft ausgesetzt waren, desto seltener erkrankten
sie an Lungenkrebs.
Lassen
sich in Zukunft bestimmte Tumorformen mit Mikroben bekämpfen? Das gab es schon
einmal: Von 1892 an behandelte der New-Yorker Chirurg William Coley Patienten,
deren Bindegewebe bösartig wucherte und nicht mehr zu operieren war, mit einer
eigentümlichen Mixtur. Sie enthielt abgetötete Streptokokken, die normalerweise
eine flammende Rötung in Gesicht oder Haut verursachen, und eine weitere
Bakterienart. «Coley's Toxin», so der Name des Therapeutikums, hatte es in
sich. Innerhalb einer Stunde nach Injektion packte die Krebskranken
Schüttelfrost, dann ereilte sie hohes Fieber. Soweit es der Zustand der
Schwerkranken erlaubte, wurde die peinigende Prozedur täglich wiederholt. Von
104 Patienten sprachen 38 zwar überhaupt nicht an. Bei allen anderen jedoch
gingen die Krebssymptome deutlich zurück. Viele der positiven Fälle ließen sich
nicht länger als fünf bis zehn Jahre dokumentieren, weil der Kontakt abriß. Bei
22 Menschen konnten sich die Ärzte zwei Jahrzehnte später erkundigen: Alle
Befragten waren noch immer vom Krebs geheilt.
Mit
William Coleys Tod im Jahre 1936 geriet der Bakteriencocktail in Vergessenheit.
Die Onkologen bevorzugten die viel versprechende Strahlen- und Chemotherapie.
Doch einen Durchbruch haben sie nicht gebracht, wie Ärzte heute erkennen.
Nicht
zuletzt deshalb erinnern sich Krebsärzte wieder an das Potential der Mikroben.
Japanische Ärzte berichteten 1996, daß Bestandteile des Bodenkeims Nocardia
rubra einen günstigen Effekt habe. Ihrer Studie zufolge verhinderten Partikel
der Mikrobe bei Menschen, die zuvor in einer Giftgasfabrik arbeiteten, den
Ausbruch von Lungenkrebs.
Auf
die Heilkraft von Erdbakterien vertraut auch Stephen Holgate von der
Universität in Southampton. Allerdings erforscht der englische Professor nicht
Krebsleiden, sondern allergische Krankheiten. Seine Gruppe hat einen
Asthma-Impfstoff aus toten Bodenmikroben hergestellt und bereits mit Erfolg
getestet. Bei 66 Prozent der Behandelten besserten sich die Beschwerden,
nachdem man ihnen das neue Vakzin gespritzt hatte. Dem Ansatz liegt die so
genannte Hygiene-Hypothese zu Grunde: Kinder, die wenig Kontakt mit Bazillen
und Viren haben, erkranken häufiger an Asthma, Heuschnupfen, Neurodermitis und
anderen allergischen Krankheiten. Daher gilt: Ein bißchen Dreck ist gesund.
Während
Holgates Mikroben-Impfstoff auf sich warten läßt, kann man andere Bakterien-Medikamente
schon heute in der Apotheke kaufen: die Darmkeime fremder Menschen. Rund 25
Milliarden Individuen vom Stamme friedfertiger Enterokokken stecken in einer
Kapsel mit Bestimmungsort Dickdarm; immerhin 20 Millionen Milchsäurebakterien
in einer Kautablette für den Dünndarm. Einsatzgebiet sind Krebspatienten, denen
die Strahlentherapie die Darmflora zerstörte.
Bakterien-Präparate
helfen auch gegen Verstopfung, meldete die deutsche «Ärzte Zeitung» voriges
Jahr: «Vier von fünf Patienten hatten wieder Stuhlgang ohne mühsames Pressen.»
Zum durchschlagenden Erfolg verhalf ein Präparat aus Enterokokken. Im
Unterschied zu klassischen Abführmitteln, die Muskulatur des Dickdarms anregen
und das Gleitmittel Paraffinöl enthalten, seien nach der achtwöchigen Bakterienkur
Blähungen und Darmgeräusche, Bauchkrämpfe und Übelkeit nur selten aufgetreten.
Etwas
unorthodoxere Wege zur Heilung des Verdauungstrakts beschritten amerikanische
Ärzte. Sie töteten die Flora eines darmkranken Menschen zunächst mit
Antibiotika ab. Dann verpaßten sie dem Patienten einen Einlauf mit der
Dickdarmflora eines gesunden Spenders. Der Erfolg der wohl weltweit ersten
Keim-Übertragung war zufriedenstellend: Der Empfänger blieb über Monate gesund.
Allerdings erscheint die Methode den meisten Patienten allzu unappetitlich.
Die
positiven Effekte der Siedler beflügeln auch die Fantasie der
Nahrungsmitteldesigner. Sie wollen unsere Darmflora mit «probiotischen»
Nahrungsmitteln verbessern. Das sind beispielsweise Joghurts, denen
Laktobazillen beimengt sind. Allerdings bewirken die etwa 100 Millionen
Industrie-Bakterien aus einem Joghurtbecher so gut wie nichts unter ihren 100
Billionen natürlichen Cousins im Darm. Das wäre so, als kippte man ein Glas
Wasser in ein volles 25-Meter-Schwimmbecken.
Daß
sich die einheimischen Laktobazillen nicht von der Konkurrenz aus der
Food-Industrie verdrängen lassen, zeigten Untersuchungen an Probanden. Kaum
waren die «probiotischen» Keime verschluckt, eilten sie durch Magen und Darm
und endeten im Stuhl.
Kommen
sie da nicht her? Die Hersteller vermeiden es, die Herkunft ihrer Kulturen
preiszugeben, und sprechen nebulös von Arten aus dem Gastrointestinaltrakt.
Wenigstens ein japanischer Hersteller besaß die Größe mitzuteilen, woher die
«probiotischen» Keime kommen, die wir alle essen sollen: aus den Windeln
gesunder Babys.
Der
Artikel ist ein redaktionell bearbeiteter Auszug aus Jörg Blechs Buch «Leben
auf dem Menschen - die Geschichte unserer Besiedler», das am 1. Juni 2000 im
Rowohlt-Verlag in der Schweiz erschein. (218 Seiten, 16 Franken).
Kommentar: Eine
Übersicht über die Abläufe in der Welt der Mikro-Organismen zu erhalten ist
reine Illusion. Wen ich die Fehler sehe, die alleine bei der Beschreibung der
Pflanzen zu Tage treten, was soll man da erwarten, wo nur in eigens
angelegten Kulturen und in kleinsten Ausschnitten beobachtet werden kann. Der
Organismus ist immer auf die Keime eingestellt, in deren Umgebung er sich
etabliert hat und das sind die, welche in der Erde und auf den eßbaren
Pflanzen angesiedelt sind. Daß eine falsche Ernährung eine Fehlbesiedelung
zur Folge hat, kann jeder auf der Toilette riechen. Wenn man sich aber an die
üblen Gerüche gewöhnt, oder sie mit Sprays zu übertünchen versucht, darf man
sich über Krankheit nicht wundern. Nur der Gedanke daran, etwas dermaßen
widerliches im innern des Körpers aufzubewahren, müßte doch die Alarmglocken
läuten lassen. |
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Bild oben: Angelegte Bakterienkultur.
Bild unten: So sieht man den Stuhl unter einem Mikroskop. Jeder dunkle Punkt ist eine Bakterie. Die drei Kugeln in der Mitte sind Hefepilze. Die betrachtete Fläche ist mit dem Auge nicht auszumachen.